Gendern oder nicht gendern, ist keine Frage – nur wie?

Die einzige Konstante im Leben ist der Wandel. Daher stellt sich mir die Frage, ob ich gendern soll oder nicht, nicht mehr; nur wie ich es jetzt mache (Mai 2024). Für meine Website und den Blog habe ich den Genderstern gewählt, nachdem ich kurzzeitig mit dem Doppelpunkt geliebäugelt hatte. Das Sonderzeichen * wird auch Asterisk genannt, was aus dem lateinisch übersetzt „kleiner Stern“ bedeutet. So gesehen, ist Gendersternchen durchaus korrekt. Aber wollen wir nicht alle lieber Stars sein?

Das Asterisk hat sich nach und nach in mein Leben geschlichen. Denn „nur“ weil ich eine Frau bin, leuchtete mir nicht sofort ein, dass Worte, Bezeichnungen und Konzepte mein Weltbild prägen. Genauso, wie sich diese Sicht bei mir über die Jahre verändert hat, dürfen alle Menschen ihren Prozess durchlaufen. Sich gar nicht vom Fleck zu bewegen, ob in dieser oder in anderen Fragen, wird den Lauf der Dinge nicht ewig aufhalten. Ich habe bereits mein Hoch auf den Prozess gesungen und werde versuchen mich auch in dieser Sache, anmutig dem Fluss hinzugeben. Wobei uns Verhaltensweisen, die uns wichtig sind, nicht automatisch leicht fallen. Doch zurück zur Sache.

„Die Befunde sind eindeutig: Sprache schafft Wirklichkeit, wer sprachlich unterrepräsentiert ist – diesem Fall Frauen – verliert an Bedeutung.“

Mirko Smiljanic: Was sich aus früheren Sprachdebatten lernen lässt – Deutschlandfunk

Das werde ich nicht weiter ausführen. Der Artikel ist gut und es gibt reihenweise andere. Ich zeichne hier meinen eigenen Erkenntnisse nach und lade alle ein, sich selbst auf den Weg zu machen.

Gendern, keine Frage, nur wie? Vom Binnen-I

Als Studentin begann ich 2001, taz und Le Monde diplomatique zu lesen. Das dort gebräuchliche Binnen-I hat meinen Lesefluss nie gestört. Obwohl mir immer bewusster wurde, wie Gedanken und Sprache unsere Wahrnehmung und Weltsicht formen, habe ich in keinem meiner Studienfächer gegendert (Geografie, Soziologie, Politik und Umweltmanagement). In meiner Diplomarbeit von „Der Clean Development Mechanism (CDM) – (ab)used by Germany?“ von 2010 steht nicht einmal der klassische Hinweis, dass zur besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum genutzt wurde und sich doch damit bitte alle angesprochen fühlen sollten.

Das war einmal. Lange habe ich mir eingeredet, dass ich im Kopf selbstverständlich die weiblichen Vertreter mitdenken würde. Immerhin fühlte ich mich angesprochen – zumindest dann, wenn die Frage des Genderns aufkam. Ansonsten war ich mit anderem beschäftigt und wollte weder zu viel fordern noch als Sensibelchen abgestempelt werden. Schließlich wurde ich dazu erzogen, dass ich alles mindestens genauso gut konnte wie Männer. Trafen so gesehen nicht sogar die männlichen Bezeichnungen auf mich zu?

Bewusstseinserweiterung

Mit meinem Einstieg in die NGO-Community bei WEED e.V. 2008 habe ich ohne Probleme das Binnen-I in meine Texte integriert (Wie ich wurde, was ich bin). Dann wurde mein binäres Verständnis in Frage gestellt. Ich durfte mein Bewusstsein erweitern und nach neuen Formen suchen. Denn mir während des Lesens alle sozialen Geschlechter unter dem generischen Maskulinum auszumalen, sprengte meine Vorstellungskraft. Da auch das Binnen-I die Vielfalt nicht fassen konnte, griff ich nach den Sternen.

Obwohl Asterisk sofort mein persönlicher Favorit wurde, setze ich mich nicht weiter für seine Verwendung ein, sondern hielt mich an die Vorgaben der jeweiligen Organisationen und Netzwerke. Privat dauerte es noch länger, ehe ich begann, den Stern hochzuhalten. Genauso wenig, wie ich anderen meine Ernährung aufdrängen wollte, wartete ich darauf, dass jede*r ihre und seine eigenen Erfahrungen sammelte und daraus die eigenen Schlüsse zog.

Gendern, keine Frage, nur wie? Zum Star

Dann gab es eine weitere Wende. Vor ein paar Monaten las ich einen Artikel, in dem von Hochschulabsolventen und ihrer Berufswahl die Rede war. Die Erkenntnis war wie ein Stich ins Herz. Ich fühlte mich nicht angesprochen. Schlimmer noch, ich stellte mir all die Akademiker, all die Ärzte, Rechtsanwälte, Biologen und Sprachwissenschaftler als (weiße) Männer vor. So soll es in meinem Kopf nicht aussehen. Denn so sieht die Welt nicht aus.

Als vermehrt der Doppelpunkt auftauchte, las ich, dass er sich besser in das Schriftbild einfügen würde und zudem maschinenlesbar sein. Das leuchtete mir ein und ich passte mich an (Gendersternchen, Doppelpunkt und Co. Die Suche nach der passenden Lücke im Wort von Cantürk Kiran für Deutschlandfunk Kultur). Für diesen Beitrag habe ich mich zum Glück noch einmal umgesehen und bin auf eine Studie der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit in der Informationstechnik (BFIT-Bund) gestoßen.

Darin werden sowohl Kriterien der Barrierefreiheit von Genderstern und Doppelpunkt geprüft als auch Menschen mit Behinderungen über deren Selbstvertretungen und lesbische Frauen, schwule Männer, bi, inter und trans* Menschen (LGBTI*Q), vertreten durch die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti.e.V.), befragt. Mit Blick auf die Dimensionen Awareness, Sozio-Kulturalität, Nutzer*innen-Orientierung, Zugänglichkeit und genderinklusive Haltung wird die Nutzung des Gendersterns empfohlen. Dem folge ich gerne.

Keine Angst vor eurer geistigen Kapazität

Seitdem gendern in verschiedenen Institutionen verboten wird, sehe ich es als meine bürgerliche Pflicht, mich zu zeigen und klar zu positionieren (dazu und noch viel mehr auf: Gendern: Ein Pro und Contra der Landestelle für politische Bildung Baden-Württemberg). Wovor haben die Menschen Angst?

Wenn es wirklich um die Lesbarkeit geht, gebe ich Entwarnung. Unser Gehirn ist zu sehr viel mehr in der Lage, als nur mit Sonderzeichen wie : * / _ oder dem großen Binnen-I zurecht zu kommen. Es heißt, dass wir Worte selbst dann lesen können, wenn nur der Anfangs- und Endbuchstabe an der richtigen Stelle stehen. Der einen oder dem anderen ist sicher bereits ein solcher Text im Netz begegnet:

Aoccdrnig to a rscheearch at Cmabrigde Uinervtisy, it deosn‘t
mattaer in what oredr the ltteers in a wrod are, the olny
Ipromoetnt tihng is taht the frist and lsat ltteer be at the rghit
pclae. The rset can be a toatl mses and you can sitll raed it
wouthit porbelm. Tihs is bcuseae the huamn mnid deos not raed
Ervey lteter by istlef, but the wrod as a wlohe.

Can Our Brains Really Read Jumbled Words as Long as The First And Last Letters Are Correct?
31 March 2018 by Michelle Starr

Auf ScienceAlert macht sich Michelle Starr auf die Suche nach der genannten Cambridge Studie. Die gab es nicht. Jedenfalls noch nicht, als dieser Selbsttest begann, im Internet zu zirkulieren (um 2003). Dank Matt Davis (University of Cambridge’s MRC Cognition and Brain Sciences Unit) gibt es jetzt eine Untersuchung. Die zeigt, dass die Zusammenhänge komplexer sind, als uns ein Social-Media-Post glauben machen will. Es gibt eine Reihe Aspekte, die das Lesen solcher Texte vereinfachen oder erleichtern (mehr dazu hier).

Lasst euren Stern leuchten

Übung macht die Meisterin. Beim Sprechen fluppt es mit dem Gendern noch nicht so, wie ich das gerne hätte. Um mir selbst Mut zu machen, diesen Artikel zu verfassen, habe ich meinem niederländischen Mann einen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig es ist, Diversität in Wort und Schrift zum Ausdruck zu bringen. Kurz darauf wies er mich darauf hin, dass ich von „gods“ sprach und ob ich nicht „goddesses“ meinte. Recht hat er. Er fühlt sich jetzt auch angesprochen, wenn ich „nur“ die weibliche Form verwende und darf mich immer wieder daran erinnern, den Stern für uns alle hochzuhalten.

Ich entscheide mich bewusst für Genderstern, denn das Sternchen ist groß geworden. Alle älteren Semester, die genauso wie ich mit Asterix aufgewachsen sind, können ihn liebevoll Asteriks nennen. Vielleicht springt mit einem rebellischen Funken Verständnis dafür über, dass die Welt nicht für alle Menschen gleich aussieht. Die Auswirkungen der (Gender-)Ungerechtigkeiten sind real. Das kann kein Star alleine richten. Muss er auch nicht.

Baby Antennen-Feuerfisch (Pterois antennata): Der weiße Körper ist noch transparent, so dass die Fischgräten durchscheinen genauso wie das Grün der ALgen auf dem der Fisch sitzt. Auf den Flossen sind blaue und weiße Punkte. Es ist als Postkarte gestaltet mit dem Text: Spread your fins and swims.

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